Die Klangbilder des Künstlers Florian Hecker lassen unseren Verstand an der Wahrnehmung unserer Sinneseindrücke zweifeln. Unidentifizierbare Töne wogen auf und verblassen, Klanggebilde verschmelzen und streben auseinander – wir fragen uns, was genau wir da hören. Der Klang ist als Medium für diese Art des Halluzinatorischen wie geschaffen: Während der menschliche Verstand noch seine Quelle zu verorten sucht, hat sich das Geräusch selbst verflüchtigt. Wir hören es nicht mehr, sondern nur noch einen Abdruck desselben, die Spur von etwas anderem. Daher spielt die individuelle Erfahrung des Hörens stets eine aktive Rolle, wenn wir den Sinn des Akustischen zu erfassen trachten und ihn dabei auch durch unsere Erwartungen und Wünsche formen.
Doch statt auf das menschliche Bedürfnis nach Sinnerschließung einzugehen, eröffnet Heckers computer-generierter Sound vielmehr subjektive Erfahrungsräume, die faszinieren, beirren und gar aufrütteln. Heckers Rezipienten sind gefragt, aktiv durch subjektive Wahrnehmung sein Werk zu erfassen – ohne die Zuhilfenahme von narrativen oder bildhaften Anhaltspunkten. Dies ist das ultimative Hörerlebnis an sich.
Eine ähnliche Versinnbildlichung von Unsicherheiten stellt das Gedicht L’après-midi d’un faune von Stéphane Mallarmé dar. Ein Faun im Halbschlaf erinnert sich der Verfolgung zweier wunderschöner Nymphen. Er sehnt sich danach, ihr Bild vor seinem geistigen Auge festzuhalten. Sie solln mir dauern, diese Nymphen. Doch quält ihn der Gedanke, dass sie bloß ein Trugbild seines Verlangens gewesen sein sollen, das ihm die Mittagshitze eingeflüstert hat. Galt einem Traum mein Lieben? Noch während der Faun sich zu vergewissern sucht, verfängt er sich in einem undurchdringlichen Geflecht aus Erinnerungen und Wahrnehmungen. So mancher zarte Zweig, der wahrer Wald geblieben, vollendet meinen Zweifel, Massen alter Nacht.
Kaum dass er die Nymphen für seines Geistes Erfindung hält, hervorgerufen durch die Geräusche der Natur, die seinen Traum durchdrangen, verdichten sich eben diese Elemente zur Melodie seines Flötenspiels, das nun die nachmittägliche Luft tränkt. Kein Wasser, das nicht meine Flöte träuft. Der Faun beschließt, durch Nacherzählung, Erinnerung und Proklamation den flüchtigen Augenblicks festzuhalten, sich seiner zu entsinnen und dies zu verlautbaren – doch das, so muss er einsehen, kann nicht im Realen geschehen, sondern bleibt das Fabulieren seines Begehrens, geschürt von seinem kunstvollen Flötenspiel.
Die Qualität des Unergründlichen inspirierte Claude Debussy, der ein gelegentlicher Gast bei Mallarmés berühmten Dienstagssoiréen war, zur Komposition seines Prélude à l’après-midi d’un faune, das im Jahr 1894 uraufgeführt wurde. Voller Ambivalenz bricht Debussys Stück mit vorherrschenden Konventionen, ohne atonal zu werden. Von der Einleitung des Hauptthemas mit seinem dichten, hinterfragenden Tritonus bis zum Schlussakkord, in dessen Moment alles sanft erstarrt, kultiviert Debussys Komposition die verträumten Kadenzen und Arabesken von Mallarmés Versen.
Dem Komponisten gelingt es nicht nur, ein äußerliches Stimmungsbild des üppigen Grüns der Waldidylle und des träumenden Fauns zu zeichnen, sondern dies auch musikalisch auf dessen Innenleben auszuweiten. Auf der Schwelle zur Leidenschaftlichkeit, (dem mouvement initial, wie Debussy notiert), fällt die Musik wiederholt zurück in eine diffuse tonale Zweideutigkeit, um das Thema dann in veränderter Form aufzugreifen – als wollte sie die Selbstbeobachtung des Fauns aus verschiedenen Perspektiven aufzeigen. Die dabei erzeugte Serie von divagations bespielt sanfte Timbes und Klangfarben ohne darin aufzugehen und als sollte das Hauptmotiv diffus in seiner Uneindeutigkeit bleiben – ohne zu einer befriedigenden Auflösung zu kommen.
Mallarmés Gedicht hat keine ungetrübte Aufführungsgeschichte. Letztlich als Bühnenspiel konzipiert, vertrat der Künstler einmal mehr die Auffassung, dass das Stück regelrecht nach „der Bühne verlange“. Der Direktor der Comédie Française sah dies anders und lehnte ein Aufführungsangebot im Jahr 1865 ab. Erst im Jahr 1876 kam es schließlich, in überarbeiteter Form, zum Abdruck.
1912 hingegen wurde dem Faun doch noch eine Bühne bereitet, als Vaslav Nijinsky, inspiriert von Debussys Prélude, die Choreographie für ein Ballett entwirft. Nijinskys flach wirkende, stakkatoähnliche Choreografie – eine unglaublich anmutende Mischung aus tänzerischer Präzision und unverhohlener Sinnlichkeit – lässt den Faun augenblicklich als animalistische Kraft der Natur erscheinen und gleichzeitig als ein Stück abstrakter Kunst. In Gesten, die vom damaligen Publikum als skandalös empfunden wurden, befriedigt der Faun am Ende des Stücks seine Lust an einem Schleier, den er den Nymphen entreißen konnte. Nijinsky gießt zum einen damit die Handlung des Gedichts in die konkrete Form fleischlicher Lust, während es ihm andererseits gelingt, durch die abgehackt wirkenden Gesten seiner Tänzer das Träumerische, Entrückte darzustellen.
Doch wo Mallarmé dem Komponisten Debussy freundlich für dessen Prélude dankt, das keine Dissonanz gegenüber meinem Text aufweist, höchstens dass es noch weiter geht, wirklich, in der Sehnsucht und in dem Licht, mit Finesse, List und Reichtum“, stieß Nijinskys Choreographie bei Debussy auf wenig Begeisterung. Er schreibt: „Die Musik […] begnügt sich damit, all diesen ungeschickten Füßen, die nicht einmal um Verzeihung bitten, ihre anmutigen Arabesken entgegenzusetzen!“
Wird Heckers Beitrag zur Tradition des Fauns ähnlich konsternierte Kommentare zur Folge haben wie Mallarmés Gedicht? Jenes Werk, das von Zeitgenossen und Vorgesetzten des Dichters als unerhört und seltsam mystifizierend bezeichnet wurde und ihn fast seine Stellung als Lehrer gekostet hätte? Oder wie Debussy, dessen Kritiker zunächst zwar der musikalischen Ambivalenz seines Stücks durchaus etwas Neues zu entnehmen meinten, sich aber doch fragten, ob man diese Art von Musik als rechtschaffene Bürger gutheißen dürfe? Oder wie Nijinskys Faun, dessen offen-fetischistisch geltendes Ende als unzüchtig und obszön verunglimpft wurde?
Heckers Arbeiten folgen durchaus dem avantgardistischen Credo, vorgefertigte Erwartungen nicht zu bedienen und Tradition und Dogma zu überkommen. Und er ist mehr als berufen für eine Interpretation eben jenen Stücks, das schon immer sein Publikum überrascht und dazu herausgefordert hat, die subjektive Wahrnehmung infrage zu stellen.
Dass auch ihn unerwartete Reaktionen seines Publikums ereilen können, zeigte sich kürzlich bei einem Auftritt in Paris, als vermutlich eher konservativ eingestellte Besucher, die wohl einen klassischen Vortrag und keinen wilden Strom elektronisch-abstrakter Klangbilder erwartet hatten, den Künstler mit verschiedenen Gegenständen bewarfen. Darunter sogar auch eine Ausgabe des Tagebuchs von Vaslav Nijinsky!
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The work of composer Florian Hecker induces a state of mind verging on hallucination: unidentifiable sounds appear and disappear, coalesce and disintegrate, instilling doubt as to what has been heard. Sound is a medium that is conducive to such hallucination: the mind strives to fix and identify the source of what is heard, while sound itself is fugitive and ephemeral. What is heard is already not just sound, but always the memory of sound, and the sign of something else. When, as in Hecker’s work, sounds are wholly synthetic, we produce phantom sound sources whose existence owes as much to our own cognition as to the physical waves that reach our ears. As philosopher François J. Bonnet puts it, listening is always a fetishism: what reaches our ears solicits an active involvement, in which we try to make sense of what we hear, and mould it to our expectations and desires.1
Rather than satisfy this natural tendency to make sense of sounds, Hecker’s synthetic work engenders doubt and uncertainty. Drawing on scientific studies into the auditory process, he creates synthetic compositions that transform along with the listener’s shifting attention or position within a space. Removed from the laboratory and deployed in a performance space, these techniques produce fascinating, unsettling, and sometimes disorienting effects. The listener has to assume an active part in the performance, assembling an enigmatic ensemble without any narrative or image to rely on, and ultimately encountering the ‘event’ of hearing itself.
A similar fostering of uncertainty appears from the very outset of Stéphane Mallarmé’s poem L’après-midi d’un faune. This strange drama first emerged in the oppressive heat of Tournon, where the poet, far away from the Paris demi-monde, would undergo the ‘crisis’ that led him to radically reconfigure his art. It is a poem in which, in Paul Valéry’s words, ‘an extreme sensuality, an extreme intellectuality, an extreme musicality, combine, intermingle, or oppose each other’.
A faun, upon waking, remembers pursuing two beautiful nymphs, and longs to fix their image in his mind: These Nymphs, I would perpetuate them. Yet he is tormented by the possibility that they were merely the product of his own desire, kindled by the midday sun: Did I love a dream?
Unlike Descartes, Mallarmé’s ‘method of doubt’ leads not to certainty but to protracted vacillation: as the faun perplexes himself with possible explanations, he becomes entangled in the tenebrous thickets of memory and perception, with their ramifying uncertainties: My doubt, hoard of old darkness, ends in a whole stream of subtle branches. No sooner does he wonder whether the nymphs were mere fabulations, occasioned by the sounds of the elements penetrating his dream (the trickling of water, the breeze caressing the foliage) than these elements themselves condense into the music of his own pipes drifting through the afternoon air: not a sound of water but my flute’s outpourings murmurs round the thicket.
In a series of vignettes within the poem, the faun then exhorts himself to ‘RECOUNT’, ‘REMEMBER’, and ‘PROCLAIM’ the truth of the evanescent event, telling and retelling it—only to conclude that the objects of this pursuit cannot be captured in reality, but only further fabulated by his own desire, stoked by the artifices of art.
The reader of this poem has a great deal to contend with: ambiguous associations, the attenuation of syntax and grammar, and the continual crystallization and subsequent disintegration of concepts and images. In the faun’s doubling of himself into critical interrogator and desiring body we sense Mallarmé’s concern for the relation between the sonority of words and their meaning, between the sepulchral stillness of the printed page and the drama of the spoken word—a ‘prolonged hesitation between the sound and the sense’ (Valéry). This ambivalence is relayed by the chimerical figure of the faun as a divided speaker negotiating between higher cogitations and lower impulses, between song and the discursive word, between reasoned meditation and the immediacy of the sensual.
Doubtless it was these enigmatic qualities that led Claude Debussy, a habitué of Mallarmé’s celebrated Tuesday evening soirées, to compose his Prélude à l’après-midi d’un faune, first performed in 1894. Redolent with uncertainty and ambiguity, flouting musical convention and yet certainly not atonal, from the introduction of the main theme with its tense and questioning tritone to the last moments in which, rather than being concluded, it sinks gently back into silent torpor—an inconclusion which according to the composer ‘prolongs the last line where the faun sinks back into his slumber: Farewell, you two; I’m going to see the shadow you became’—Debussy’s composition further cultivates the languorous cadences and arabesques of Mallarmé’s verse.
Although Debussy described the work as ‘a free illustration’ rather than a direct translation of the poem into music, he succeeds not only in evoking the verdant luminosity of the pastoral scene and the faun’s languid reverie, but also in conveying musically his introspective quest. On the cusp of a wave of ardour (the ‘rising movement’ Debussy noted in Mallarmé’s poem), the piece repeatedly lapses back into diffuse tonal ambiguity, only for its theme to be reprised in a new form—as if miming the faun’s perplexed examination of his predicament from different perspectives. In this series of divagations, delicate timbres and tone-colours are touched on without consummation, as the presiding motif returns, shifting, its yearning for resolution never truly satisfied.
Later this year, the Faun arrives in Frankfurt, as Florian Hecker brings his response to Debussy’s Prélude to the Alter Oper. Mallarmé’s poem has a vexed relation with the theatre: he initially conceived it as ‘a poem for reading or for the stage’, insisting that ‘it is not a work that may conceivably be given in the theatre; it demands the theatre’—an opinion not shared by the director of the Comédie Français, who in 1865 rejected his proposal to stage the piece. Periodically revisited and revised by Mallarmé for over a decade, the Faune was not to see the light of day until 1876—in written form, in a published edition with illustrations by Edouard Manet.
Debussy’s piece also seems to have initially been conceived as a score for a stage production, comprising a prelude, interlude, and ‘final paraphrase’—again, a project that was never to bear fruit. In 1912, however, the Faune did enter the theatre, with Vaslav Nijinsky’s ballet set to Debussy’s Prélude. This audacious choreographic debut took archaic Greek art as its model, constraining the dancers to perform strangely flattened, two-dimensional gestures, like animated bas-relief figures—a flatness further emphasized by Léon Bakst’s backdrop, a landscape compressed into a diagrammatic japonism, so that the action takes place entirely within a shallow, frieze-like space. With Nijinsky’s schematic, staccato choreography—an impossible mixture of onerous precision and unabashed sensuality—the faun appears at once as an animalistic force of nature and an abstract thing of art. In a gesture that provoked scandal at the time, at the end of the piece the faun finally satisfies himself by coupling with a veil stolen from the nymphs. Nijinsky thus renders the action of the poem concrete and physical—carnal, even—while retaining a dreamlike quality through the detached, schematised gestures he imposes on the performer’s bodies.
Whereas Mallarmé thanked Debussy graciously for his Prélude—‘it presents a dissonance with my text only by going much further, really, into nostalgia and into light, with finesse, with sensuality, with richness’—Nijinksy’s ballet did not go down so well with Debussy, who berated him as a mathematician who ‘adds up demi-semi-quavers with his feet, [and] proves the result with his arms’!
Will Hecker’s contribution to the Faune tradition occasion the same consternation as Mallarmé’s poem—which, when news of it reached his superiors (‘outrageous publications’, ‘strange mystifications’!) nearly saw him deprived of his precarious livelihood as a schoolteacher; as the tonal ambivalence of Debussy’s piece, in which contemporary critics certainly heard something new, but wondered ‘if such music could be approved of, or whether it should not be condemned by respectable people’; or as the frankly fetishistic finale of Nijinsky’s Faune, decried as lewd and obscene?
Hecker’s work—which has included live performances, sound installations, CD releases, and collaborations with other artists including Cerith Wyn Evans, Mark Leckey, and Aphex Twin—certainly cleaves to the avant-garde credo of baffling expectations, overthrowing tradition and dogma. His performances increasingly involve not just sound, but all of the senses (His CD: A Script for Synthesis even involved a perfume component)—yet still without necessarily ‘making sense’. And he is well qualified to respond to a piece which, in its various forms, has always challenged audience’s expectations and invited them to question their own perceptions. But responses to his work can be unpredictable: at a recent gig in Paris, more conservative members of the audience, expecting a music recital rather than a hallucinatory torrent of abstract electronic sound, resorted to pelting Hecker with a selection of objects—including a copy of the Diary of Vaslav Nijinsky!
- François J. Bonnet, The Order of Sounds: A Sonorous Archipelago (Falmouth: Urbanomic, 2016).